Über eine gerechte Kosten-Verteilung beim Umweltschutz
Die entwickelten Länder der Welt haben im Lauf der Geschichte so einige Schuld auf sich geladen. Europa und Nordamerika haben ihre eigene Entwicklung nicht nur auf Kosten der Entwicklungsländer vorangetrieben, sondern auch auf Kosten der Umwelt. Umso mehr drängt es heute die noch verbliebenen Ökosystemene, wie den tropischen Regenwald, zu erhalten, natürliche Ressourcen zu schützen und den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu reduzieren. Entwicklungs- und Schwellenländer stehen angesichts dieser notwendigen Forderungen gleich doppelt unter Druck: Zum einen befinden sich hier viele der noch erhaltenen und unberührten Naturschätze, zum anderen würde ein Schutz dieser Ökosysteme ihre wirtschaftliche Entwicklung weiter beschneiden.
Klimaforscher und Ökonomen versuchen deshalb herauszufinden, wie ein gerechtes System aussehen kann, das beides erlaubt: den Schutz von Ökosystemen und eine wirtschaftliche Entwicklung der Dritte-Welt-Länder.
Die Klimadebatte selbst ist seit Kopenhagen ins Stocken geraten. Zwar haben sich dort zahlreiche Länder freiwillig zur Emissionsreduzierung entschieden, das reicht aber nicht einmal aus, um die Klimaerwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Die Hoffnungen auf die neuen Verhandlungen von Cancún im Dezember 2010 sind gedämpft. Auch weil einer der kritischen Hauptakteure, die USA, mit dem „American Power Act“ zur Reduzierung von Treibhausgasen Ende Juli im eigenen Land scheiterte. Noch immer ist die kritische Frage, wie Entwicklungs- und Schwellenländern mit in ein System zur Reduzierung der Treibhausgase eingebunden werden können.
Ein Modellprojekt für den Umgang mit Naturressourcen in Entwicklungsländern könnte sich in Ecuador abzeichnen: Wichtigstes Exportprodukt des Andenstaates ist Erdöl. Rund ein Drittel des gesamten Staatshaushaltes wird daraus bestritten.
Eines der größten Vorkommen Ecuadors, das ITT-Feld, liegt unter dem Yasuni-Nationalpark nahe der Grenze zu Peru, etwa 250 Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt. 850 Millionen Barrel Öl mit einem Marktwert von rund 6 Milliarden Doller werden in dem Gebiet vermutet. Einige Schätzungen gehen sogar von zusätzlichen Reserven in Höhe von 1,53 Milliarden Barrel aus. Der Yasuni-Nationalpark gilt als eines der Gebiete mit der größten Artenvielfalt weltweit. Auf einem Hektar soll es mehr Baumarten geben als in Kanada und den USA zusammen. Nirgendwo auf der Erde leben mehr Insekten als hier. Zudem leben zwei Urvölker auf dem Gebiet des Nationalparks, zurückgezogen in freiwilliger Isolation. Eine Ölförderung in diesem Gebiet würde nicht nur die Umwelt, sondern auch deren Lebensgrundlage zerstören. Das Gebiet könnte auch für den Artenschutz der Zukunft an Bedeutung gewinnen: Der durch den Klimawandel verursachte Temperaturanstieg wird hier wegen regionaler Besonderheiten vergleichsweise gering ausfallen.
2007 erklärte die ecuadorianische Regierung, man wolle auf die Förderung des Öls verzichten, sollte sich die internationale Staatengemeinschaft entschließen dafür Ausgleichszahlungen in Höhe von drei Milliarden Dollar zu entrichten – das entspräche etwa der Hälfte des Öl-Marktwertes. Rund 410 Millionen Tonnen CO2 würde die Förderung und das anschließende Verbrennen des Öls in Motoren freisetzen. Dies zu verhindern sei auch im Interesse anderer Staaten, sagt der ehemalige Außenminister Ecuadors, Fander Falconí, heute. „Abholzung in diesem Gebiet wird ebenso vermieden, wie das Verbrennen von Erdöl.“
Ecuador hat seit Jahren mit den Altlasten der Ölindustrie zu kämpfen. Deshalb verwundert es kaum, dass 80 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung die Initiative befürworten. Aber die Öllobby macht Druck, die Förderung doch noch zu erlauben. Umso wichtiger ist die internationale Unterstützung für das Land. „Für Ecuador ist die Initiative ein wichtiger Fortschritt“, erklärt Falconí.
Prominente Fürsprecher für das Projekt hatte Falconí schnell gefunden: Neben zahlreichen grünen Politikern unterstützen auch Michail Gorbatschow und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu die Initiative. Bereits 2008 hat der Deutsche Bundestag sie befürwortet und im Juni 2009 verabredete Fander Falconí mit der deutschen Bundesregierung einen Treuhandfond einzurichten, in den die Bundesrepublik jährlich mehrere Millionen Dollar einzahlen sollte. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat inzwischen einen Rückzieher gemacht. Vom größten Unterstützer der Initiative ist Deutschland zum größten Zweifler geworden. Am 21. September 2010 ließ der Minister verlauten: „Wir werden die Einzahlung in den Treuhandfonds für die ITT-Initiative nicht in Betracht ziehen.”
Dabei hat Ecuador in diesem August einen Vertrag mit der UN-Umweltorganisation UNEP geschlossen und der Initiative damit einen Rechtsrahmen gegeben: Rund drei Milliarden Dollar sollen in einem Zeitraum von 20 Jahren in einen von der UN verwalteten Treuhandfond fließen. Das Geld soll nicht nur dem Erhalt von Naturschutzgebieten dienen, sondern auch in den Ausbau erneuerbarer Energien und in Sozialprojekte fließen.
Skeptiker wie Dirk Niebel kritisieren den zu unsicheren Rechtsrahmen des Projekts. Die Frage ist: Wer garantiert, dass eine Nachfolgeregierung sich an die Abmachungen hält und nicht trotz gezahlter Entschädigungen nach Öl bohrt? Rechtlich hat sich Ecuador zwar verpflichtet, das Geld zurückzuzahlen, sollte in Zukunft doch nach Öl gebohrt werden, doch eine wirkliche Handhabe hat die internationale Staatengemeinschaft nicht. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass es angesichts knapper werdender Ölressourcen irgendwann auch im Interesse anderer Staaten liegen könnte, das Öl abzubauen. Fander Falconí verweist nicht nur auf den Treuhandfond: „Es ist eine Selbstverpflichtung des Staates das Öl im Boden zu lassen.“ Natürlich gehe es im internationalen System aber auch um Vertrauen und Vertrauensaufbau.
Möglicherweise kann Vertrauen allein die Verteilungsprobleme von Umweltbelastungen nicht lösen. In der wissenschaftlichen Debatte geht es deshalb auch darum, wie ein internationales System von Zertifikaten gestaltet werden könnte. Zertifikatsysteme stehen seit Verabschiedung des Kyoto-Protokolls in der breiten Öffentlichkeit in keinem guten Ruf. Kyoto war zwar ein erster Versuch völkerrechtlich verbindliche Werte für den Ausstoß von Treibhausgasen festzulegen, doch an dem Wachstumstrend bei den wichtigsten Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid konnte das nichts ändern. Das größte Problem des Abkommens: In nicht ganz zwei Jahren, 2012, verliert es seine Gültigkeit und ein Nachfolgeabkommen ist bisher nicht in Sicht. Staaten wie Russland, Deutschland, China und die USA haben 2007 in der unverbindlichen Washingtoner Erklärung einige Grundzüge der Nachfolgeregelung festgelegt: Zunächst müsse ein möglichst weltweites Emissionshandelssystem eingerichtet werden, das sowohl entwickelte als auch Entwicklungsländer mit einbezieht. Die Nachfolgeregelung soll eigentlich im Dezember in Cancún verabschiedet werden, aber sämtliche Vorverhandlungen haben bisher kein konsensfähiges Ergebnis gebracht.
Dass Zertifikate sinnvoll sind, davon geht auch Pavan Sukhdev, Leiter der TEEB-Studie, aus. „Es ist sicherlich wahr, dass Zertifikate helfen, egal ob es sich dabei um CO2-Zertifikate handelt, um Biodiversität-Zertifikate, um Wald-Zertifikate oder um Frischwasser-Zertifikate – es ist nun einmal die Wahrheit, dass sich das Verhalten von Konsumenten ändert, sobald sie sehen, dass etwas zertifiziert ist und dass der Verbraucher eine Wahl hat“, sagt Sukhdev. Geldzahlungen der entwickelten Länder an die weniger entwickelten Staaten, wie im Fall Ecuadors, sei eine Frage der Gerechtigkeit: „Nur ein Beispiel: Der tropische Regenwald nimmt rund 15 Prozent des gesamten Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes auf. Der Wert dieser Kohlenstoffdioxid-Aufnahme des Regewaldes ist gut für jeden, für die USA, für Europa, für Australien, für Kanada, für jeden! Also warum sollen die entwickelten Länder nicht für diesen Service zahlen, vor allem wenn man davon ausgeht, dass sie den Ausstoß verursachen?”
Pavan Sukhdev leitete den Bereich Global Markets der Deutschen Bank in Mumbai. Im Juli 2008 wurde er freigestellt, um an der TEEB-Studie zu arbeiten. Die Studie wurde von Deutschland und der Europäischen Union angestoßen und unterstützt von der UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Das ambitionierte Projekt ist vergleichbar mit dem Stern-Report, der die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung untersuchte.
TEEB, Kurzform für „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“, hat die Kosten für den Verlust von Ökosystemen und Biodiversität berechnet. Die große Frage, mit der sich auch die TEEB-Studie befasst: Wie können Kosten und Nutzen von Ökosystemen berechnet werden? Es sei nicht wie ein Besuch im Supermarkt und zusammenrechnen, „was kostet Milch, Butter, Brot, Eier… Natur“, erklärte Pavan Sukhdev auf der Konferenz der ökologischen Ökonomen Ende August in Oldenburg. „Die Kosten für die Natur festzulegen, ist sehr viel komplexer.“
Ein Beispiel: Untersucht wurde, wie sich die Abholzung von Wäldern in China in den 1990er Jahren ausgewirkt hat. Das geschlagene Holz wurde mit großem Gewinn in die USA und nach Europa verkauft. Doch kurze Zeit später traten in China Umweltkatastrophen auf: In einem Jahr trocknete der Gelbe Fluss vollständig aus, in einem anderen kam es zu heftigen Überschwemmungen – alles eine Folge der vorangegangenen Abholzung. Die Studie hat berechnet, dass die wirklichen Kosten für die Abholzung der Wälder, eingerechnet der Folgeschäden durch Überschwemmungen und den Verlust von Ökosystemen, 129 Prozent der Einnahmen aus dem Holzexport entsprachen. Das heißt: Die Kosten der Abholzung waren letztendlich viel höher als der kurzfristig erzielte Gewinn. Eine Kosten-Nutzen-Rechung, die die wirtschaftliche Bedeutung von Umweltsystemen deutlich macht. „Der Punkt ist: Die Umwelt ist wertvoll, weil die Alternative Geld kosten würde“, sagt Pavan Sukhdev. „Und das ist etwas, was die Menschen verstehen müssen, nur weil etwas nicht durch Marktmechanismen funktioniert, nur weil etwas nicht gehandelt wird, bedeutet das nicht, dass es nicht wertvoll ist. Es bedeutet nur, dass es ein öffentliches Gut ist auf das wir achten müssen, wie auf unseren privaten Besitz.“ Er weist darauf hin, dass zum Beispiel rund 60 Prozent aller Medikamente zuerst in Wäldern oder Korallenriffen entdeckt wurden – ein Anreiz diese Umweltsysteme zu erhalten.
Bernd Hansjürgens vom Umweltforschungszentrum (UFZ) in Leipzig hat den TEEB Report für politische Entscheidungsträger verfasst. Er sieht nicht nur die Politik in der Verantwortung, sondern auch die Kostenverursacher. Seine Forderung: Der Verursacher von Umweltverschmutzungen müsse die gesamten Folgekosten selbst tragen.
Eine gerechte Verteilung der Kosten von Umweltschutz und Umweltzerstörung – ob dafür eine dauerhafte Lösung gefunden wird, sei es durch ein Zertifikatsystem oder durch Treuhandprojekte wie in Ecuador, hängt aber nicht nur vom Ehrgeiz der Wissenschaftler ab, sondern vor allem von genau jenen politischen Entscheidern, mit denen sich Hansjürgens befasst hat. Und dass die tatsächlich in absehbarer Zeit zu einer weltweit akzeptierten Lösung kommen, scheint angesichts des momentanen Stillstands in den Verhandlungen nicht wahrscheinlich.
Jessica Holzhausen, Oktober 2010